Die Geschichte der Tafeln in Deutschland

Sabine Werth (Berliner Tafel)

Die Tafeln in Deutschland sind Vereine, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Lebensmittel, die noch einwandfrei sind, aber aus den verschiedensten Gründen entsorgt werden sollen, kostenlos einzusammeln und an Bedürftige (Obdachlose, Frauen in Frauenhäusern, an Beratungsstellen jeglicher Art etc.) zu verteilen. Bei den gesammelten Lebensmitteln handelt es sich um die gesamte Angebotspalette unseres täglichen Bedarfs. Nicht jedes Lebensmittel ist ständig zu bekommen, aber dafür sind die Nahrungsmittel, die abgeholt werden oft im Überfluß da. 20 – 30 Paletten Tomaten sind nicht selten. In der Nachweihnachtszeit stehen uns riesige Mengen an Weihnachtsartikeln zur Verfügung und nach Ostern erschlagen wir uns mit Osterhasen.Die Tafeln erhalten Lebensmittel, die der EU – Norm nicht entsprechen, die falsch geordert wurden, Havarie – Schäden oder einfach Ware, die zu viel vorhanden ist. So wurden der Hamburger Tafel 300 Tonnen Zitronen angeboten, die in Rotterdam lagen und nach Hamburg geschafft worden wären, hätte die Hamburger Tafel die Ware gewollt. Nach Auskunft eines Fachmanns in Hamburg war das Risiko jedoch zu groß, daß einzelne Zitronen bereits schimmelten und bevor die Ladung Hamburg erreicht hätte, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit der gesamte Posten befallen gewesen. Dieses Angebot wurde also ausgeschlagen. Hingegen wurden 50 Tonnen Äpfel in Dresden gerne genommen und tagelang fuhren die verschiedenen Tafeln aus nah und fern zur Dresdener Tafel um kistenweise Äpfel zu holen.Für die spendenden Firmen bedeutet die Abgabe der Lebensmittel aber auch gleichzeitig Imagegewinn und Kostenersparnis! Imagegewinn daher, weil sich die Tafeln in Deutschland in den letzten Jahren einen guten Namen erarbeitet haben und es schon fast zum guten Ton gehört, Lebensmittel an eine Tafel abzugeben. Kostenersparnis, da die Firmen zumindest die Nahrungsmittel, die sie an die Tafeln geben, nicht kostenpflichtig entsorgen müssen. Bei 4,2 Millionen kg verteilten Lebensmitteln im letzten Jahr läßt sich vorstellen, in welcher Größenordnung die Ersparnis liegen dürfte.

Übriggebliebene Waren sind meist in Bäckereien abzuholen. Alles an Kuchen, Brötchen und Brot wird abends oder am nächsten Morgen abgeholt und an die Bedürftigen verteilt. Weitere Nahrungsmittel bleiben da übrig, wo sie dem strengen Blick einer KonsumentIn nicht genügen. Eine Ware, die bezahlt werden muß, soll natürlich auch 100%ig einwandfrei sein. Hat der Apfel eine kleine Delle, bleibt er liegen. Eine weitere Chance für eine Tafel ergibt sich aus Sachzwängen für die Produzenten von Lebensmitteln: eine Demeterfarm in Brandenburg verkauft Zucchini an Bioläden. Zucchini können aber nur bis zu einer Länge von maximal 30 cm in den Handel gelangen, danach gibt es keine Absatzmöglichkeit mehr. Eine willkommene Gelegenheit für die Berliner Tafel, die so 400 kg Zucchini abgeholt und in ganz Berlin verteilt hat.Auch Produktionssituationen an sich bringen so mancher Tafel viel Freude: eine Firma bei Dresden, die Brühwürfel herstellt, hat ständig Produktionsüberhänge. Das ist fast zwangsläufig, da die Maschinen bei der Produktion auf eine bestimmte Stückzahl eingestellt werden, aber immer einen gewissen, jedoch nicht genau zu bestimmenden Nachlauf haben. Sollen 1 Mio. Brühwürfel einer bestimmten Sorte für eine bestimmte Firma produziert werden, hat die Maschine einen Nachlauf von einer Summe X, die weder bestellt worden war, noch anderweitigen Absatz findet. Dieses Zuviel an Brühwürfeln wird natürlich gern von der Dresdener Tafel abgeholt. Seit geraumer Zeit werden so Brühwürfel auch an die anderen Tafeln gegeben. Eine Veranstaltung, die z.B. für 1000 Personen ausgerichtet ist, bei der aber leider nur 300 Gäste erscheinen, ist für die meisten Tafeln ein willkommenes Ereignis. Mitten in der Nacht fahren die HelferInnen an den Veranstaltungsort und sammeln das, was die Küche noch nicht verlassen hat und verteilen es noch nachts an Einrichtungen für Bedürftige. Diese spezielle Aktion ist nur in großen Städten möglich, in denen es Einrichtungen gibt, die auch nachts geöffnet haben.

Hierbei ist wichtig festzustellen, daß viele Tafeln unterschiedlich arbeiten: die meisten Tafeln sammeln und verteilen, einige Tafeln haben eigene Läden, in denen die Waren kostenlos oder gegen eine Spende abgegeben werden. Andere Tafeln haben eigene Suppenküchen, in denen sie selbst die Lebensmittel verkochen und dann an Bedürftige ausgeben. Wie eine Tafel aufgebaut ist, hängt von der Größe einer Stadt und den Bedürfnissen der dort lebenden Bedürftigen ab.Die Entwicklung der Tafeln in Deutschland ist rasant!Im Februar 1993 wurde in Berlin die erste Tafel gegründet. Mit dem Begriff ‘Tafel’ wurde ein Synonym entwickelt, das später von allen anderen Tafeln übernommen wurde. Etwa 2200 Menschen fahren zu rund 1300 Einrichtungen bis zu sieben Mal pro Woche und verteilen ungefähr 350 000 kg Lebensmittel im Monat.

Die Tafeln arbeiten in erster Linie nur mit ehrenamtlichen HelferInnen, einige Tafeln haben ABM- oder Zivistellen. Sehr wenige Tafeln haben gesponsorte Stellen für Hauptamtliche und keine Tafel leistet sich bezahlte Stellen aus eigenen Mitteln.

Die Finanzierung der täglichen Arbeit erfolgt aus gespendeten Geldern und Mitgliedsbeiträgen. Die Tafeln versuchen die Kosten für Räume, Telefon, Autos etc. so niedrig wie möglich zu halten. Ein Grund, weshalb die Tafeln weitestgehend auf öffentliche Mittel verzichten, liegt in ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit. In dem Augenblick, in dem die Länder oder Gemeinden Gelder bewilligen, haben sie auch die Möglichkeit, Einfluß auf die Inhalte der Arbeit einer Organisation zu nehmen.

Hier wäre es dann sehr schnell möglich, mit Begründungen aufzuwarten, jemandem würde die Sozialhilfe gekürzt, da diese Person bei einer Tafel arbeite und sich somit mit Lebensmitteln versorgen könne. Solche Versuche gab es schon in der Vergangenheit, aber die Kommunikation untereinander in der Tafellandschaft ist zum Glück gut und schnell genug, um solchen Versuchen effektiv entgegen zu treten. Versuche ähnlicher Art sind schon bis vor die Gerichte gekommen, hierbei ging es aber um Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege. Aber genau das ist der Punkt: die Verbände der freien Wohlfahrtspflege sind finanziell zu kontrollieren, da viele von ihnen öffentliche Gelder erhalten. Außerdem ist leider festzustellen, daß nicht allzuviele SozialhilfeempfängerInnen bei den Tafeln mitmachen. Es sind zwar hier und da einige, aber im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Aktiven sind es doch verschwindend wenige. Stellt sich die Frage, ob es möglich und auch sinnvoll wäre, hier größere Potentiale zu mobilisieren. In kleineren Städten ist es sicher möglich, da die Entfernungen zwischen Wohnung und Einsatzstelle, z.B. Laden der Tafel nicht zu groß sind. In größeren Städten scheitert oft ein Einsatz am Fahrgeld, das die Bedürftigen einsetzen müßten, um zur Tafel zu gelangen. Dieses Problem lösen aber manche Tafeln, indem sie eine Aufwandsentschädigung für alle oder einzelne Aktiven zahlen.

Insgesamt ist aber festzustellen, daß die, die viel Zeit haben schwer einzusetzen sind im täglichen Arbeitsanfall der Tafeln, wohingegen Berufstätige mit wenig Zeit enorm viel Energie darauf verwenden, ihre Einsätze regelmäßig und überaus zuverlässig zu leisten.

Es wäre sicher sinnvoll, Bedürftige stärker zu motivieren, an der Arbeit der Tafeln teilzunehmen, aber hier sind wir wieder an der Grenze zwischen Ehrenamt der Verantwortlichen der Tafeln auf der einen Seite und SozialarbeiterInnen auf der anderen Seite.

Über die Tafeln in Deutschland

Beim Einsatz bei einer Tafel sind hier zwei verschiedene Motivationsebenen zu berücksichtigen: die Ebene des Mitmachens und die Ebene des Überhaupt-etwas-tuns!

Die erste Ebene ist durch die Aktiven der Tafeln abzudecken. Die Vorsitzenden sind ständig damit beschäftigt, die anderen Ehrenamtlichen ihrer Tafel ‘bei der Stange zu halten’. Dies ist in der Regel nicht so sehr schwer, da die Arbeit, die eine Tafel leistet, in unserer Gesellschaft ein relativ hohes Ansehen genießt und somit ein gerüttelt Maß an Sozialprestige mit sich bringt. Die Ideen und Veränderungen innerhalb einer Tafel kommen meist durch eine intensive Gruppendynamik zustande, so daß sich alle gegenseitig anstecken und ganz bei der Sache sind. Die Motivation derer, die Probleme haben, indem sie Sozialhilfe beziehen oder erwerbslos zu Hause sitzen, ist sehr viel schwerer.

Diese Menschen wollen eine bezahlte Arbeit und sehen oft keinen Sinn darin, ehrenamtlich einer Beschäftigung nachzugehen. Hier kann die Motivation zum Mitmachen zwar auch über die Öffentlichkeitsarbeit der einzelnen Tafeln erfolgen, ansonsten ist sie aber nur durch die ‘Profis’ möglich, die diese Menschen betreuen, seien es die SozialarbeiterInnen in den Sozialämtern oder die SachbearbeiterInnen in den Arbeitsämtern. In letzterem Fall ist es aber wahrscheinlich nicht sehr realistisch, da Anregungen, die von ‘oben’ kommen meist nicht sehr wohlwollend aufgenommen werden.

Anders ist es bei ABM – Maßnahmen. Die Tafeln, die ABM beantragt haben – und das sind meist Tafeln in den neuen Bundesländern, da dort das Prinzip der Ehrenamtlichkeit nicht sehr gut ankommt – machen oft die Erfahrung, daß diejenigen, die ursprünglich als ABM – Kräfte eingesetzt waren, nach Ablauf der Maßnahme ehrenamtlich weiter machen, da die Beschäftigung bei einer Tafel zum einen sinnvoll ist, zum anderen aber auch aus der täglichen Lethargie des Nichtstuns herausreißt.

Eine weitere Möglichkeit wäre es, Obdachlose bei den Tafeln einzusetzen. Auch hierzu gibt es bereits Erfahrungen. Wann immer ein Tafelauto bei einer Einrichtung vorfährt, kommen einige der BesucherInnen heraus und helfen beim Ausladen. Der Versuch jedoch, Obdachlose in die Arbeit der Tafeln einzubeziehen, sind leider meist gescheitert. Zum einen sind auch hier Motivationsprobleme vorhanden, aber was viel stärker wiegt, ist das Problem, tägliche Arbeitsabläufe für sich selbst zu akzeptieren und – und leider ist dieser Punkt nicht zu unterschätzen – stellt das Alkoholproblem einiger die Tafel immer wieder vor ein Problem, das wiederum nur von Professionellen gelöst werden kann. Eine Tafel ist in aller Regel nicht in der Lage – und will es auch nicht sein – Problemlösungsvorschläge zum Thema Alkoholentzug und Therapie zu machen. Gleichzeitig ist es aber bei allen Tafeln Konsens, daß allgemeines Alkoholverbot während der Einsätze besteht.

Auch an dieser Stelle wäre eine direkte und damit konstruktive Zusammenarbeit zwischen Tafeln und Professionellen nötig. Auf Grund des Vorgenannten ist eine Kritik, die den Tafeln gegenüber gern entgegen gebracht wird von unserer Seite nicht zu halten: die Tafeln stellten eine Konkurrenz zur professionellen Sozialarbeit dar. Da die Leute der Tafeln ehrenamtlich tätig sind und meist keine Ausbildung im sozialen Bereich haben, sondern aus den verschiedensten Berufsgruppen kommen, können sie nicht professionell arbeiten ( wo liegt schon die sozialarbeiterische Professionalität im Holen und Bringen von Lebensmitteln!!!). Mit dieser Kritik stellen die SozialarbeiterInnen ihre eigene Ausbildung völlig in Frage!

Die Ehrenamtlichen der Tafeln suchen und wollen die Zusammenarbeit mit den Hauptamtlichen der Einrichtungen, denn nur durch diese Auseinandersetzung und durch die gegenseitige Unterstützung ist effektives Arbeiten für die Tafeln möglich. Die Motivation der einzelnen, die aber bei einer Tafel mitmachen, ist sowohl bei den HelferInnen aus auch bei den SponsorInnen oder SpenderInnen unterschiedlich.

In einem Punkt läßt es sich aber auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren: die Menschen merken in unserem Land immer stärker, daß etwas getan werden muß und es keinen Sinn hat, sich auf politische Veränderungen zu verlassen. D.h., aktive einer Tafel haben ihre Verantwortung als BürgerInnen unseres Landes erkannt und handeln danach. Gleichzeitig ist eine weitere häufig zu vernehmende Kritik den Tafeln gegenüber, sie seien durch ihr Tun systemstabilisierend, denn die Tafeln änderten nichts an den verheerenden Zuständen in unserem Lande. Dem stimme ich zu! Systemstabilisierend ist die Arbeit der Tafeln, denn alles außer Anarchie ist systemstabilisierend! Mit unserem Tun nehmen wir die Regierenden aber nicht aus der Pflicht, vielmehr weisen wir dadurch ständig auf die Mißstände hin!

Es ist elementar wichtig, daß die Tafeln mit den sozialen Einrichtungen, die beliefert werden zusammenarbeiten, denn neben der versuchten Kürzung der Sozialhilfe bei Privatpersonen haben wir es leider auch schon erleben müssen, daß den Beratungsstellen, Notunterkünften etc. von Seiten der Kommunen angedroht wurde, die finanziellen Mittel für die Essensversorgung der BesucherInnen zu kürzen, da die Einrichtungen von einer Tafel beliefert würden. Auch hier half nur die schnelle gemeinsame Argumentation: eine Tafel kann nur das liefern, was sie von den LebensmittelgeberInnen zur Verfügung gestellt bekommt. Daß heißt, an dem einen Tag kann es kiloweise Brot sein, an einem anderen Tag zentnerweise Salat. Es können aber auch jederzeit Tage sein, an denen eine Tafel gar nichts oder nicht genug für all die Einrichtungen bekommt, die eigentlich auf das Erscheinen der Tafel warten.

Somit ist die Belieferung durch eine Tafel nicht kalkulierbar und diese Feststellung ist den Tafeln auch besonders wichtig!An dieser Stelle wieder die Verbindung mit der Nichtinanspruchnahme öffentlicher Mittel. Würden die Tafeln Gelder von seiten des Staates in Anspruch nehmen, wären sie in die Pflicht zu nehmen. Eine Tafel mit Staatsknete müßte alle Einrichtungen, die ehemals Gelder der Länder oder Kommunen bekommen haben beliefern, ob die Tafeln etwas an Lebensmitteln bekommen haben oder nicht! Da das aber in der Realität nicht machbar ist und nur dazu führen könnte, daß die Stellen, die ehemals öffentliche Gelder erhielten und jetzt keine Gelder und eventuell aber auch keine Lebensmittel bekommen, gar nichts mehr haben, hüten sich alle Tafeln vor dieser Form der Vereinnahmung seitens des Staates!

Aus all diesen Konsequenzen ist zu ersehen, daß die Tafeln zwar konfessionell und parteipolitisch unabhängig sind, ihr Tun aber keineswegs unpolitisch ist. Ganz im Gegenteil: Die Tafeln in Deutschland stehen für Solidarität und Verantwortung in unserer Gesellschaft! Wir leben in einem Land, in dem ein derartiger Überfluß besteht, daß rund 20% aller Lebensmittel täglich weggeworfen werden. In einem Land, in dem gleichzeitig die Zahlen der Arbeitslosen und Mittellosen so rasant steigen, daß es einem schwindelig werden kann.

In einem solchen Land müssen wir beginnen, uns selbst und uns gegenseitig zu helfen! Da sollte jedes erfolgversprechende und erst recht jedes erfolgreiche Mittel recht sein.Die Tafeln in Deutschland haben eine Bewegung in Gang gesetzt, die nicht mehr zu stoppen ist. Eine Bewegung leider, im Bezug darauf, daß es immer Überfluß und gleichzeitig Armut geben wird, eine Bewegung zum Glück, da mit Hilfe der Tafeln der Glaube an das Miteinander nicht verloren geht. In einer Zeit wie dieser müssen die Menschen erkennen, daß alle an einem Strang ziehen und daß niemand davon ausgenommen ist!

Egal wie gut oder wie schlecht es den einzelnen in unserer Gesellschaft geht, wir hängen ursächlich von einander ab! Wir Tafelleute haben das erkannt und verhalten uns entsprechend!

Unser herzlichster Wunsch ist es, daß immer mehr Menschen dies begreifen und entweder bei uns oder in anderen Hilfsaktionen mitmachen!